Adriana Altaras Liest In Der Himmelskirche


Kategorie: Hessentag
geschrieben von: Hessentag geschrieben am: 10.06.2012 um: 11:40 Uhr
Schließlich befinde man sich in der "Himmelskirche". Die Zuhörer lächeln. Und sind ganz bei der Sache. Denn es kommt einem vor, als erzähle die Autorin. So ausdrucksstark und lebendig versteht es Adriana Altaras, aus ihrem Buch "Titos Brille - die Geschichte meiner strapaziösen Familie" den gespannten Zuhörern im voll besetzten Wetzlarer Kirchenraum vorzutragen.

Die Tochter der Gründer und ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Gießen, Jakob und Thea Altaras, wurde 1960 im jugoslawischen Zagreb geboren. Die Eltern, im Zweiten Weltkrieg Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, später mit dem Kommunismus Titos konfrontiert, kamen über Italien und die Schweiz in den 60er Jahren nach Gießen und bauten sich dort ein neues Leben auf. Der Vater Jakob Altaras war Medizinprofessor (Radiologe) am Gießener Uni-Klinikum. Thea Altaras, die Mutter, eine frühpensionierte Architektin, recherchierte 20 Jahre lange in hessischen Dörfern über das Landjudentum, woraus unter anderem das historische Standardwerk "Synagogen in Hessen"entstand.

Die mit viel Witz und Charme vorgetragenen Erinnerungen verarbeitet Adriana Altaras in Form einer Vergangenheitsbewältigung, die neue Perspektiven auf ihr eigenes und das Leben als solches wirft. Nach dem Tod der Eltern schaffte es die 52-Jährige beispielsweise, sich von den vielen Dingen, die sich in der Wohnung ihrer Mutter im Laufe von vier Jahrzehnten angesammelt hatten, zu trennen. Sie organisierte nämlich ganz einfach einen Flohmarkt.

Die zierliche Schauspielerin und Regisseurin spart die Schrecken des Holocaust in ihrer Autobiografie nicht aus. Schonungslos schreibt die Autorin bisweilen und dabei mit sehr viel Herzenswärme. Und so gelingt es ihr, auch die schweren Zeiten im Leben ihrer Familie mit einer Unbefangenheit und Leichtigkeit zu beschreiben, die ihre Zuhörer nicht nur zum Schmunzeln sondern auch immer wieder zum lauten Lachen bringen. Dies wird schon in den Kapitel-Überschriften deutlich. Denn hier finden sich Titel wie "Das jüdische Massaker" (über die Beschneidung), "Der Rabbi in der Aldi-Tüte" (über die Beerdigung ihres Vaters) oder "Bar jeder Mizwa", eine Beschreibung der Bar-Mizwa-Feier (Mizwa: Pflicht, gute Tat - mit 13 Jahren wird der Junge vollwertiges Mitglied der jüdischen Gemeinde) ihres ältesten Sohnes David. Denn auch religiöse Vorschriften nimmt Adriana Altaras eher von der lockeren Seite und bedenkt sie mit einem Augenzwinkern. Sie habe ein Faible für Religion, erklärt sie, auch wenn sie keine konservative Jüdin sei. Und: "Meinen Kindern wollte ich etwas mitgeben."

Spannungsbögen baut sie gekonnt auf, sodass beim Publikum keine Langeweile aufkommt. Am Ende heißt es gar: "Ob David seine Bar Mizwa gut hingekriegt hat, das müssen Sie selber lesen." Und auch, warum das Buch "Titos Brille" heißt, bleibt ein Geheimnis und erfährt nur, wer die Autobiographie käuflich erwirbt.

Nur zu gern folgen etliche Zuhörer ihrer Aufforderung nachdem sie Adriana Altaras' spritzige Lesung mit kräftigem Beifall belohnt haben.

"Titos Brille - die Geschichte meiner strapaziösen Familie" ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen. Die 263 Seiten umfassende Autobiographie kostet 18, 99 Euro.

Quelle: Evangelische Kirche im Rheinland
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